Interessante Gedanken zur Zukunft der Finanzbranche

Seit Anfang des Jahres ist Felix Hufeld Exekutivdirektor der BaFin-Versicherungsaufsicht. Rund 100 Tage nach seinem Amtsantritt sprach das BaFinJournal mit ihm über die großen Herausforderungen, denen sich die Versicherungswirtschaft in den kommenden Monaten und Jahren zu stellen hat, und darüber, wie die Aufsicht damit umgehen wird.

Herr Hufeld, Sie waren jahrzehntelang in unterschiedlichen Führungspositionen der Finanzbranche tätig. Was hat Sie dazu bewogen, nun die Leitung der Versicherungsaufsicht der BaFin zu übernehmen?

Mit dem Wechsel von der privaten Wirtschaft zur BaFin habe ich die Gelegenheit ergriffen, in verantwortungsvoller Position die Zukunft der Finanzbranche aktiv mitgestalten zu dürfen. Aufsicht – das dürfte sich in den Krisenjahren herumgesprochen haben – ist relevant und notwendig, um die Funktionsfähigkeit und Integrität des Marktes zu sichern. Dabei an vorderster Front mitwirken zu dürfen, betrachte ich als Privileg und Herausforderung.

Die Unterschiede zu meinen bisherigen Tätigkeiten sind übrigens kleiner als gedacht: Natürlich funktioniert eine öffentliche Behörde wie die BaFin teilweise anders als ein Unternehmen, dessen Aufgabe es ist, Gewinn zu erzielen. Aber hier wie dort geht es darum, komplexe Sachverhalte zu beherrschen und tragbare Lösungen zu finden – auch im internationalen Kontext. Hier kommen mir meine Erfahrungen aus der Privatwirtschaft sehr zugute.

Wie haben Sie den Start in Ihr neues Amt erlebt?

Die ersten drei Monate waren spannend, intensiv und lehrreich. Wir haben hier viele kompetente Kollegen – die Zusammenarbeit macht mir wirklich Freude. So konnten wir bereits ein ganzes Bündel an wesentlichen Themen anpacken.

Welche Aufgaben sind aus Ihrer Sicht aktuell die drängendsten?

Die Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben, lassen sich in drei Komplexe einteilen. Da sind natürlich zunächst einmal die großen Veränderungen unseres Umfelds zu nennen, wie Solvency II oder die anhaltende Niedrigzinsphase. Gleichzeitig gewinnt die internationale Dimension an Bedeutung. Auf diese Veränderungen müssen wir uns auch intern einstellen, das ist die zweite wichtige Aufgabe: Die Versicherungsaufsicht muss sich stetig weiterentwickeln, auch personell, um den Herausforderungen vorausschauend begegnen zu können. Bei alldem dürfen wir aber nie den dritten Aufgabenkomplex aus den Augen verlieren: unser Tagesgeschäft, die laufende Aufsicht.

Beginnen wir mit Solvency II. Der Start des neuen europäischen Aufsichtsregimes ist schon mehrfach verschoben worden. Wie bewerten Sie das?

Man sollte diese ganze Diskussion ein wenig gelassener angehen. Ich sehe die Verschiebung nicht so sehr als Problem. Es ist ganz normal, dass Regelwerke dieser Dimension Jahre brauchen, um zu reifen. Auch nach der Verabschiedung wird Solvency II nicht statisch bleiben, sondern fortlaufend verfeinert werden. Außerdem bedeutet die Verschiebung des Starts auf 2016, vielleicht auch 2017, für uns ja nicht, dass wir in dieser Zeit nichts zu tun hätten.

Wie werden Sie diese Zeit nutzen?

Zunächst einmal müssen wir natürlich in dem Punkt zu einer Lösung kommen, dem die Aufschiebung insbesondere geschuldet ist: nämlich bei der Frage, wie langfristige Verträge und Garantien adäquat abgebildet werden können. Dazu findet seit Ende Januar europaweit eine Auswirkungsstudie statt. Die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA wird die Ergebnisse Mitte Juni an die EU-Kommission geben. Vor allem aber beschäftigen wir uns damit, welche Elemente des Solvency-II-Regimes schon vorab eingeführt werden könnten.

Welche könnten das sein?

Das ist von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich – je nachdem, wie das jeweilige nationale Recht ausgestaltet ist. Entscheidend ist immer, ob es gesetzlich, faktisch und technisch möglich ist, einen bestimmten Teilbereich vorzuziehen. In Deutschland sind wir vor allem beim Thema Risikomanagement schon jetzt gut aufgestellt, das zur zweiten Säule von Solvency II gehört. Ich könnte mir auch vorstellen, dass einige eher deskriptive Elemente von Säule III, also den Veröffentlichungsvorschriften, schon vorab eingeführt werden könnten. Überall dort, wo es einen gangbaren Weg gibt, Elemente vorzuziehen, werden wir es tun. Wir werden da ganz pragmatisch vorgehen. Welchen Vorteil hat es denn, einzelne Teile vorzuziehen?

Im Grunde geht es einfach darum, Solvency II schrittweise umzusetzen anstatt zu einem festgelegten Datum als „Big Bang“. Das hat den großen Vorteil, dass Unternehmen und Aufsicht nach und nach Erfahrungen bei der Anwendung sammeln können – und dass wir mit der Umsetzung vorankommen. Warum also sollten wir mit der Weiterentwicklung etwa bei Fragen der Governance oder des Risikomanagements zögern, wenn dem weder rechtlich noch faktisch Hindernisse im Weg stehen? Einige Unternehmen haben uns bereits signalisiert, dass sie darüber hinaus weitere Teile von Solvency II freiwillig vorab erproben wollen, über die von uns als verbindlich geforderten Standards hinaus. Das unterstützen wir ausdrücklich.

Was wird sich für die Aufsicht unter Solvency II verändern?

Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Aufsicht unter Solvency II deutlich internationaler wird. Wir werden uns in den Kollegien mit den Aufsehern der anderen Länder fortlaufend abstimmen. Wir müssen darauf achten, dass wir unseren Einfluss dort geltend machen können. Auch wird ein viel größerer Teil der Maßstäbe und materiellen Inhalte, an denen unsere Aufsicht auszurichten ist, von EIOPA koordiniert werden. Das ist aus meiner Sicht auch richtig. Der Blick durch die rein nationale Brille reicht nicht mehr aus.

Wir werden auch unseren Dialog mit den Unternehmen weiter intensivieren müssen, um dem stärker prinzipienbasierten Ansatz von Solvency II und dem Proportionalitätsprinzip Rechnung tragen zu können. Dabei sollten wir als Aufseher immer unseren gesunden Menschenverstand zu Rate ziehen. Die Finanzkrise der vergangenen fünf Jahre hat deutlich gezeigt: Es kann nicht darum gehen, das Augenmerk lediglich auf die Ergebnisse der teilweise komplexen – und vermeintlich unfehlbaren – Modellrechnungen zu richten. Unter Solvency II ist vielmehr das Zusammenspiel zwischen quantitativen Größen und dem sehr wichtigen Risikomanagement zu berücksichtigen. Erst dadurch ergibt sich ein Gesamtbild, das uns in die Lage versetzt, die Unternehmen richtig zu beurteilen, und – fast noch wichtiger – es den Unternehmen selbst ermöglicht, sich zukunftsorientiert ihrer Risikosituation strukturiert und deutlich bewusst zu werden.

Mindestens ebenso stark wie Solvency II beschäftigt das anhaltende Niedrigzinsumfeld die Versicherungsbranche. Ja, das ist für die Industrie eine große Herausforderung, allen voran für die Lebensversicherer. Je länger die Zinsen so niedrig bleiben, desto schwieriger wird es für sie, mit ihrem Kapital ausreichend Erträge zu erwirtschaften. Als Aufsicht müssen wir dieses Problem sehr genau im Auge behalten. Um uns ein möglichst klares Bild zu verschaffen, fragen wir schon seit 2009 fortlaufend die ökonomisch relevanten Daten bei allen Lebensversicherern ab und analysieren diese. Außerdem führen wir Stresstests und Prognoserechnungen durch. Sie haben bestätigt, dass die deutschen Lebensversicherer ihre Leistungsversprechen kurz- bis mittelfristig werden erfüllen können. Sie erwirtschaften mit ihren Kapitalanlagen nach wie vor ausreichend hohe Renditen.

Wie kann sichergestellt werden, dass die Lebensversicherer ihre Verpflichtungen gegenüber den Versicherten auch langfristig erfüllen können?

Es gibt ein ganzes Instrumentarium potenzieller Sicherungsmaßnahmen. Gesetzgeber und Aufsicht sind hier genauso gefragt wie die Unternehmen selbst. Einige Maßnahmen sind auch bereits ergriffen worden. Denken Sie etwa an die Zinszusatzreserve, die die Unternehmen seit 2011 für ihre Garantieverpflichtungen aufbauen müssen. Das sind Belastungen in Milliardenhöhe, die aber absolut gerechtfertigt und notwendig sind.

Die Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapieren muss aus unserer Sicht jedoch noch angepasst werden. Bundestag und Bundesrat haben das Thema zwar vorerst vertagt. Ich bin aber zuversichtlich, dass man sich in nicht allzu ferner Zukunft erneut damit befassen wird. Die adäquate Abbildung der langfristigen Garantien unter Solvency II, über die wir ja schon gesprochen haben, ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Und schließlich wird auch die Branche selbst ihre Hausaufgaben machen müssen.

Sie muss Produktinnovationen entwickeln, die bei den Zinsgarantien auf flexibleren Modellen beruhen. Zudem wird sie bei ihren Kapitalanlagen Anpassungen vornehmen müssen, wobei hier natürlich ebenso die vom Gesetz und einem Risikomanagement gesetzten Grenzen zu beachten sind.

Im Umfeld der Versicherungsaufsicht ist also vieles im Umbruch. Muss sich da nicht auch die Aufsicht selbst verändern?

Es ist selbstverständlich, dass wir unsere Aufsichtsphilosophie stetig fortentwickeln und anpassen. Besonders großen Wert lege ich dabei auf den Aspekt der vorausschauenden Aufsicht: Wir müssen uns in die Lage versetzen, potenzielle Risiken so frühzeitig wie möglich zu erkennen. Das gilt nicht nur für die mikroprudenzielle Aufsicht. Es ist wichtig, dass auch potenziell problematische makroprudenzielle Entwicklungen vorausschauend überwacht werden, etwa wenn Versicherer in großem Stil in Krisenstaaten investiert sind. Es ist besser, so etwas frühzeitig zu wissen, als es hektisch nachanalysieren zu müssen, wenn die Hütte schon voller Rauch steht.

Wie kann eine solche vorausschauende Aufsicht aussehen?

Aktuell wird etwa darüber diskutiert, ob Versicherer – wie auch die Banken – Sanierungspläne erstellen sollten. Ich halte das für außerordentlich nützlich, denn es zwingt die Unternehmen, sich mit möglichen künftigen Krisen zu befassen. Das führt dazu, dass sie ihr Risikomanagement entsprechend ausrichten und mit der Aufsicht früher als bisher in den Dialog zu treten.

Um makroprudenzielle Risiken besser beurteilen zu können, hat der deutsche Gesetzgeber den neuen Ausschuss für Finanzstabilität geschaffen. Die wesentlichen nationalen Institutionen sitzen dort an einem Tisch, um Entwicklungen frühzeitig zu besprechen, zu bewerten und gegebenenfalls Warnungen oder Empfehlungen auszusprechen. Gleichzeitig bezieht das makroprudenzielle Mandat der Bundesbank nun auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Versicherer ein. Sie wird ihre enormen und sachkundigen Ressourcen künftig also auch dazu verwenden können, nicht nur die Daten der Banken, sondern auch die der Versicherer volkswirtschaftlich zu analysieren. Das begrüße ich sehr.

Lassen Sie uns noch über ein weiteres Aufsichtsthema sprechen, das derzeit in aller Munde ist: den Verbraucherschutz. Das Versicherungsaufsichtsgesetz, kurz VAG, enthält dazu ja einen klaren Auftrag. Wie füllt die Versicherungsaufsicht diesen aus?

Laut VAG ist die Wahrung der Belange der Versicherten eines der Hauptziele unserer Aufsicht. Dieses Mandat für einen kollektiven Verbraucherschutz nehmen wir sehr ernst. Wir haben das Thema schon immer aktiv vorangetrieben. Vielleicht sollten wir aber etwas offensiver über das sprechen, was wir zum Schutz des Versichertenkollektivs tun.

So können wir dem verfehlten Eindruck Vorschub leisten, dass wir uns im Verbraucherschutz weniger engagieren als in anderen Bereichen. Das ist zweifellos nicht der Fall. Ganz im Gegenteil – wir tun sogar sehr viel.

Können Sie Beispiele nennen?

Der beste Verbraucherschutz ist natürlich unsere Solvenzaufsicht – wir stellen sicher, dass die Unternehmen zahlungsfähig bleiben. Wir sorgen aber auch dafür, dass die Versicherer ihren Geschäftsbetrieb ordnungsgemäß führen und die Gesetze und aufsichtlichen Vorgaben beachten. 2013 wollen wir vier Verbraucherschutzthemen schwerpunktmäßig anpacken: Beschwerdemanagement, Produktinformationsblätter, Praxis der Schadenregulierung und Anreize im Vertrieb.

Was heißt das konkret? Beginnen wir mit dem Beschwerdemanagement.

Wir wollen, dass alle Versicherer ihre Beschwerdemanagement-Prozesse klar definieren und schriftlich festlegen. Das sollte für einen ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb ohnehin selbstverständlich sein. Zumal ein intelligentes Beschwerdemanagement-System nicht nur den Verbrauchern, sondern auch den Unternehmen selbst zugute kommt. Für die Schadensabwicklung und die Produktentwicklung kann es außerordentlich gewinnbringend sein, wenn Erkenntnisse aus Beschwerden dort einfließen.

EIOPA hat dazu kürzlich Leitlinien erlassen, nach denen die Mitgliedstaaten dafür sorgen sollen, dass die Versicherer bei der Beschwerdebearbeitung bestimmte Mindeststandards einhalten. Wir unterstützen das nachhaltig und werden dazu ein Rundschreiben und eine Sammelverfügung veröffentlichen. Es wird dazu in Kürze auch eine Konsultation geben.

Inwiefern wird sich die Versicherungsaufsicht mit den Produktinformationsblättern und der Schadenregulierung befassen?

Die Versicherer müssen ihren Kunden seit 2008 ein Produktinformationsblatt mit den wichtigsten Vertragsinformationen aushändigen, um ihnen eine gut durchdachte Entscheidung zu ermöglichen. Die Produktinformationsblätter enthalten beispielsweise Angaben zur Höhe der Prämie oder weisen auf Leistungsausschlüsse hin. Es ist wichtig, dass alle Informationen knapp, übersichtlich und verständlich dargestellt werden – sonst ist das Ziel verfehlt. Wenn wir Hinweise erhalten, dass Produktinformationsblätter mit Detailinformationen überfrachtet oder schlicht unverständlich sind, werden wir diesen nachgehen. Es liegt letztlich auch im Interesse der Industrie, ihre Produktinformationsblätter zu verbessern. Sie ist auf das Vertrauen der Verbraucher angewiesen.

Wir werden außerdem verstärkt prüfen, ob es einzelne Versicherer gibt, die ihre Schadenregulierung missbräuchlich steuern. Sollten wir Unternehmen dabei auf die Spur kommen, dass sie gezielt danach trachten, Schadenregulierung zu verhindern, werden wir natürlich auf geeignete Weise gegensteuern.

Und wo hakt es im Vertrieb?

Es kommt vor, dass Versicherungsunternehmen im Vertrieb falsche Anreize setzen. Das kann dazu führen, dass Vermittler im Einzelfall ungeeignete Produkte empfehlen oder gar im größeren Stil Umdeckungen veranlassen, die nicht im Interesse der Kunden, sondern allein am Provisionsinteresse der Vermittler orientiert sind. Wir werden den Vertrieb in den kommenden Monaten daraufhin noch schärfer unter die Lupe nehmen als bisher. Solche Fehlsteuerungen zu verhindern, ist im Übrigen auch Ziel der Reform der Versicherungsvermittler-Richtlinie, über die derzeit auf europäischer Ebene diskutiert wird.

Quelle:Bafin